Digitale Transformation und Teilhabe: Chancen und Herausforderungen aus Perspektive der Technikgestaltung

Prof. Dr. Christophe Kunze, Professor für assistive Gesundheitstechnologien,  
Vorstand  vom Institut Mensch, Technik und Teilhabe (IMTT),  Hochschule Furtwangen 

Die digitale Transformation, also die mit digitalen Technologien verbundenen Veränderungsprozesse auf individueller, institutioneller und gesamtgesellschaftlicher Ebene, berührt die Teilhabechancen von Menschen mit Behinderung in vielfacher Weise. Im Mittelpunkt des Diskurses steht die zunehmende Bedeutung der Teilhabe über technisch vermittelten Interaktionen in der „digitalen Welt“ der Online-Dienste. Daneben können den digitalen Technologien wie z.B. Sprachassistenten, vernetzten Systemen des Internets der Dinge, Robotik, 3-Druck oder Anwendungen der Künstlichen Intelligenz aber auch hohe Potentiale zur Förderung der Teilhabe in der physischen Welt zugeschrieben werden. Prozesse der Technikgestaltung und der Technikaneignung haben einen entscheidenden Einfluss auf Teilhabechancen und Exklusionsrisiken durch digitale Technologien. Im Beitrag sollen daher die Schnittstellen zwischen Teilhabeforschung und Technikgestaltung beleuchtet werden.

 
Häufig bleiben in den Anwendungsfeldern Gesundheit, Pflege und Teilhabe die tatsächlichen Effekte neuer Technologien auf die Verbesserung der Versorgung in der Praxis weit hinter den Erwartungen zurück. Zum Teil lässt sich dies durch vermeidbare Fehlorientierungen in der Gestaltung von technikbezogenen Veränderungen erklären. Ein typisches Phänomen ist z.B. die durch Hype-Dynamiken motivierte Fokussierung auf „zukünftige“ Technologien (wie etwa Robotik und KI), die aus einem eingeschränkten Verständnis der tatsächlichen Möglichkeiten dieser Technologien heraus oft mit überzogenen Erwartungen verbunden sind (vgl. [1]). Erschwerend kommt hinzu, dass gleichzeitig die Komplexität des Technikeinsatzes in Gesundheits- und Teilhabe-bezogenen Anwendungskontexten in der Regel unterschätzt wird (vgl. [2]). In eher technikgetriebenen Forschungsfeldern ist außerdem eine Orientierung in Richtung der Gestaltung und Nutzung assistiver Technologien als spezifische, dedizierte Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung zu beobachten, während Gestaltungsansätze zur teilhabefördernden Nutzung von soziotechnischen Arrangements von Mainstream-Technologien eher vernachlässigt werden.

 
Daraus ergeben sich im Hinblick auf eine bessere Erschließung der Potentiale digitaler Technologien zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung mehrere Zielrichtungen. Wünschenswert für eine interdisziplinäre Betrachtung von Aktivitäten zur digitalen Transformation ist in diesem Kontext zum einen ein wechselseitiges Verständnis von Dynamiken der Technikaneignung, welches sowohl Veränderungen auf Seiten der Nutzenden (z.B. Bezug auf Kompetenzen oder Akzeptanz) als auch auf Seiten der Technik (z.B. in Bezug auf Zugänglichkeit, Anpassbarkeit oder Interoperabilität) brücksichtigt. Zum anderen sind Forschungsaktivitäten gefragt, welche stärker die Gestaltung von individuellen (sozio-)technischen Arrangements und deren Aneignung in den Blick nehmen. In diesem Kontext müssen auch unterschiedliche disziplinäre Vorstellung in Bezug auf Relevanz (z.B. Innovationsgrad) und Evaluationszielen und -methoden in Einklang gebracht werden. 

[1] Kunze, Christophe: Zwischen Hype und disruptiver Innovation: Neue Technologien als Treiber für Veränderungen in der Pflege. In: Meißner, Anne & Kunze, Christophe (Hrsg.): Neue Technologien in der Pflege: Wissen, Verstehen, Handeln. Kohlhammer Verlag, 2020.

[2] Kunze, Christophe: Nutzerorientierte und partizipative Ansätze in Gestaltungs- und Aneignungsprozessen von teilhabefördernder Technik. In: Schäfers, Markus & Welti, Felix (Hrsg.): Barrierefreiheit – Zugänglichkeit – Universelles Design. Verlag Julius Klinkhardt, 2021 

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